Beurteilung der Kriegsgefahr:
Vor
dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg gab es eine ähnliche Entwicklung wie heute
mit einem Ringen der Großmächte um ihre hegemoniale Stellung und um ihre
Weltmarktanteile, mit jahrelangen gegenseitigen Verdächtigungen und
Unterstellungen ( in einer Skala von worst-case-Überlegungen bis zu massiven
Beschuldigungen ) und häufigen Vertragsbrüchen auf allen Seiten und nicht
eingehaltenen Absprachen. Auslöser und Anlässe zum Ausbruch der Kriege waren
beide Male geringfügige Ereignisse wie sie auch heute leicht möglich sind. Ein
Zündfunke reichte auch damals, um damit über die Transmissionsriemen von
Bündnisverpflichtungen, Hegemonialansprüche im Atlantischen und im Pazifischen
Raum, Wirtschaftsinteressen, ideologischen Zwangsvorstellungen und
Politikerehrgeiz in nur wenigen Monaten Weltkriege zu entfachen. Auch noch kurz
vor beiden Weltkriegen ahnte kaum jemand, dass aus den damals kleinen
Lokalkonflikten so bald Weltbrände entstehen würden. Es ist möglich, aber – mit
Gottvertrauen betrachtet – nicht wahrscheinlich, dass sich das Szenario
wiederholt. Aber die Ähnlichkeit muss warnen. Der Zündfunke könne beim nächsten
Mal die Aufnahme der Ukraine in die NATO sein.
Auch
nach einer theoretisch möglichen, jedoch unwahrscheinlichen russischen Duldung
der Aufnahme der UKR in die NATO wäre die Kriegsgefahr nicht gebannt.
Anschließend müssten, was ebenfalls unwahrscheinlich ist, die UKR und die NATO-Staaten
die zukünftige Zugehörigkeit der Krim zu RU anerkennen. Andernfalls würde ein (
neues ) NATO-Mitglied eine Gebietsforderung an RU stellen. Die UKR könnte mit
der militärischen Macht der NATO im Rücken den untauglichen Versuch unternehmen,
die Krim zurückzugewinnen, was zu einem Grenzkonflikt mit RU führen würde, also
neuer Kriegsgefahr zwischen Russland und der NATO.
Folgerungen für
Deutschland:
Die
deutsche Politik des Durchlavierens und der „Halbentscheidungen“ steckt in der
Ukrainekrise in der Sackgasse. Ein Ende der Eskalationsschraube ist mit einem
weiteren Androhen von „harten Maßnahmen“ und „hohem Preis“ gegenüber RU und
ohne eine klare Position gegenüber den USA und der UKR unwahrscheinlich.
Deutschland,
die Nato und die USA, sollten erstens die sicherheitspolitische Notwendigkeit anerkennen, dass zwischen zwei
Machtblöcke Pufferstaaten gehören. Die Ukraine ist nach ihrer geographischen Lage
ein solcher Puffer. Die Ukraine hat als souveräner Staat zwar das Recht, sich
seine Bündnispartner selbst auszuwählen und einen NATO-Beitritt zu beantragen,
aber sie hat selbst kein Anrecht auf einen NATO-Beitritt. Die
NATO aber hat das Recht, im eigenen
Sicherheitsinteresse zu entscheiden, wen sie aufnimmt und wen nicht. Die USA
und die NATO sollten militärisch die Finger von der Ukraine lassen. Die USA
haben 1962 auch nicht geduldet, dass ihnen die Sowjets militärisch in Cuba auf
die Pelle rückten. Eine zukünftige Sicherheitsarchitektur Europas wird ohne
einen Pufferstaat in dieser Region nicht lange halten.
Deutschland
sollte zweitens seine Rolle in seiner
Zwickmühlenlage nüchtern und ohne moralische Anmaßungen betrachten. Wir müssen
zu allen vier Machtzentren hin ( USA, EU, RU und CHIN ) Verträglichkeit wahren,
ohne aus der Vorstellung der moralischen Überlegenheit einer „westlichen
Wertegemeinschaft“ trügerische Folgerungen zu ziehen. Schon ein Vergleich der
außenpolitischen Gepflogenheiten unserer „Leitnation“ in der westlichen
Wertegemeinschaft USA mit den außenpolitischen Gepflogenheiten Russlands zeigt,
dass beide Staaten meist auf dem gleichen moralischen Niveau agieren.
Nicht
nur RU annektierte eine zu 80 % von
Russen bewohnte Krim. Auch die USA annektierten einst das mehrheitlich amerikanisch besiedelte mexikanische Texas
so wie auch die schwach amerikanisch besiedelten Hawaii-Inseln. Nicht nur RU setzte Söldner auf der Krim und in
der Donbas-Region ein. Auch die USA setzten 2009 Blackwater-Söldner im Irak ein. Nach dem Sturz Saddam Husseins
waren es über 48.000 Academy-Söldner. ( ehem. Blackwater ). Nicht nur RU griff in Unruhen in Georgien,
Moldawien und Syrien ein. Auch die USA griffen früher wiederholt in Mexico und später in Grenada, Guatemala, Panama,
Libyen, und Syrien ein. Nicht nur Putin ( RU ) verkündete 2014 kurz vor der Übernahme der Krim, dass er nicht erwäge, die
Krim zu annektieren. Auch Roosevelt ( USA ) beruhigte die amerikanische Bevölkerung am 3.9.1939 und am 29.4.1940 und am
30.10.1940 und am 3.11.1940 und im Januar 1941 mit der Zusicherung, dass er die
USA aus dem Krieg gegen Deutschland heraushalten werde. ( Roosevelt befahl und
eröffnete den Schießkrieg gegen Deutschland dann ohne Kriegserklärung gegen die
deutsche Kriegsmarine auf dem Nordatlantik drei Monate vor Hitlers
Kriegserklärung an die USA ). Nicht nur RU führt Propaganda-Kampagnen vor kriegerischen Auseinandersetzungen durch
irreführende und falsche Nachrichten. Auch die USA pflegen das zu tun. Die letzten Beispiele sind die Aussage des
US Außenministers Powell am 5.2.2003 vor dem UN-Sicherheitsrat über die inzwischen
als gezielte Fehlinformation anerkannten „Geheimdienst-Erkenntnisse“ mit den
irakischen chemischen Massenvernichtungs-waffen und die Aussagen von US
Präsident Obama über angebliche russische Truppenbewegungen vom 3. September
2014. Die deutschen Leser seien auch daran erinnert, dass US Präsident
Roosevelt am 27.10.1941 dem amerikanischen Volk in einer Rundfunkansprache
mitgeteilt hat, dass ihm gesicherte Geheimdiensterkenntnisse über einen
deutschen Angriffsplan über Frankreich-Spanien-Westafrika-den
Südatlantik-Südamerika-Panama gegen die USA vorlägen. Damit hatte Roosevelt seinen
Krieg gegen Deutschland als Verteidigungskrieg „legitimiert“. Es war schon
damals unglaubwürdig, dass die deutsche Wehrmacht, die gerade Ihren
Invasionsplan über den 30 Km breiten Ärmelkanal gegen England hatte aufgeben
müssen, sich nun planerisch an die 4.000 Km breite Südatlantik-Passage
heranwagen würde. Ich halte veröffentlichte amerikanische
Geheimdiensterkenntnisse für absolut unglaubwürdig. Sie sollten nie zur
Grundlage deutscher Überlegungen und Entscheidungen werden.
Da
Putin mehrfach und eindeutig geäußert hat, wo für ihn der Casus Belli beginnt, nämlich bei der Aufnahme der UKR in die NATO,
sollte Deutschland drittens dafür
sorgen, dass der Casus Belli nicht eintritt. Deutschland sollte im Verein mit Frankreich durch klare
Willensäußerungen bekunden, dass es auch in Zukunft keine Aufnahme der UKR in
die NATO dulden wird. Das enthebt die NATO als Organisation einer eigenen
Entscheidung und nimmt RU einen der zwei Gründe für seinen Truppenaufmarsch in
der Nähe zur ukr. Grenze. Es wäre das „Durchschlagen
des gordischen Knotens“.
Deutschland
sollte viertens im Verein mit
Frankreich eine Donbas-Konferenz einberufen und zusammen mit den Regierungen
der UKR, RU´s, und der international nicht anerkannten Separatistenregierungen
von Donezk und Lugansk den zukünftigen Status der abtrünnigen Regionen klären
und vertraglich festschreiben.. Ein Status der inneren Autonomie innerhalb der
UKR mit russischer Amts- und Schulsprache und weiteren Hoheitsrechten für die
dortige russische Bevölkerungsmehrheit wäre denkbar. Das nähme RU den zweiten
seiner zwei Gründe für seinen Truppenaufmarsch zum Schutz der mehrheitlich
russischen Bevölkerung in den zwei Oblasten. Es entspräche außerdem den zwei
Minsker Vereinbarungen.
Deutschland
sollte fünftens die fertiggestellte
Ostseepipeline North Stream II unverzüglich in Betrieb nehmen. Deutschlands
zunehmender Energiebedarf braucht das.
Russlands bisherige wirtschaftliche Vertrags- und Verabredungstreue verdienen
das. Amerikas wirtschaftliche eigenen Exportinteressen und seine eigenen
Erdölimporte aus RU disqualifizieren die Vorhaltungen über eine Abhängigkeit Deutschlands
von RU. Und US Präsident Biden hat die amerikanischen Sanktionsdrohungen gegen
die deutschen Betreiberfirmen inzwischen aufgehoben. Die eine Inbetriebnahme
bisher blockierende EU-Erdgasrichtlinie wurde erst im April 2019 während des
Baus der Pipeline so ergänzt, dass sie auch die North Stream II betrifft. Sie
ist außerdem noch rechtlich umstritten. Eine Inbetriebnahme wäre auch ein
Zeichen an die EU, die USA, die UKR und Polen, dass Deutschland nicht in jeder
Hinsicht durch moralischen Druck und „Solidaritätsansprüche“ erpressbar ist.
Deutschland
sollte sich sechstens, solange die
UKR nicht angegriffen worden ist und nur einen Sezessionskrieg auf eigenem
Boden ausficht, neutral verhalten. Eine Bedrohung der UKR bei gleichzeitiger
Bedrohung der Sicherheitsinteressen Russlands ist eine Münze mit zwei Seiten. Neben
dem Recht der UKR auf Wahrung seines territorialen Bestandes sind auch die
zugesagten und nicht gewährten Autonomierechte der russischen Bevölkerung im
Donezk- und Lugansk-Gebiet zu bedenken. Deutschland wird ohnehin nach deutschem
Recht keine Waffen in Spannungsgebiete liefern. Jede Lieferung wäre ein Stück
einseitige Eskalation und mitnichten ein Stück reale Abschreckung oder gar
Deeskalation. Deutschland hat in der UKR auch nach einem Kriegsausbruch weder
vertraglich noch moralisch eine Verpflichtung zum Helfen oder Eingreifen. Es
sollte sich nicht im Zuge der Hegemonialbestrebungen und der
Wirtschaftsinteressen der USA und der dazugehörenden NATO-Solidarität in einen
Krieg hineinziehen lassen.
Anders
sieht es mit Militärhilfen für NATO-Staaten in Randlage zu RU aus, wenn die
sich derzeit bedroht fühlen.
Die
deutsche Regierung sollte siebtens jetzt schon Klarheit für den Fall eines Krieges um die oder in der Ukraine
schaffen. Sie sollte ankündigen, dass Deutschland in einem solchen Fall neutral
bleibt. Sie sollte auch erklären, dass Deutschland sich an Sanktionen erst
später und nur nach eigenen Entscheidungen beteiligt. Die rüde Erklärung
Präsident Bidens, die deutsch-russische Ostseepipeline im Falle eines Krieges
zu zerstören, gebietet es, der amerikanischen Regierung keine Blankoschecks
auszustellen. Auch bei dem jetzt schon anmaßend fordernden Auftreten der ukr.
Regierung gegenüber Deutschland sind Klarstellungen offensichtlich geboten. Zu
viele Beistandsversprechen westlicher Staaten an die UKR könnten dazu führen,
dass ukr. Vertreter bei internationalen Verhandlungen um die Zukunft der
überwiegend russisch bevölkerten ostukrainischen Oblaste zu selbstherrlich und
zu wenig konzessionsbereit sind. Die USA und die UKR verdienen diese Klarheit.
Der
ehemalige Bundeskanzler Schröder hat Deutschland richtiger Weise 1991 aus dem
2. Golfkrieg im Irak herausgehalten. Bundeskanzler Scholz sollte das in einem
„Ukrainekrieg“ auch gelingen.
Achtens sollte man in Deutschland nicht vergessen, dass unsere Wiedervereinigung vor 32
Jahren erst durch die Zustimmung Gorbatschows möglich wurde. Und die gab es im
Gegenzug zur mündlichen Zusage des amerikanischen Außenministers Baker: „Die
NATO wird keinen Inch weiter nach Osten vorrücken.“ Der Verzicht auf eine NATO
Osterweiterung war also ein Teil des Preises für die Wiedervereinigung. Wir
sollten auch nicht vergessen, dass der deutsche NATO-Generalsekretär Wörner und
der deutsche Außenminister Genscher das in ihren Reden und Interviews bestätigt
haben. Wir Deutsche sind, anders als andere NATO-Mitglieder, erstrangige Zeugen
dieser frühen amerikanischen Zusage. Wir sollten das weder vergessen noch aus
anderen Gründen leugnen. Wir schulden das den Russen.
Ende